Dienstag, Dezember 20

Sündenbock


Um hiermit die Abwesenheit in meinem Blog zu rechtfertigen...


Meine gnädige Frau

Maria lernte Erik an einem herbstlichen Tag kennen. Ihr Mann Tomás hat sie bei Dr. Silva gelassen. Sie sollte dort eine Kur machen, hat er gesagt. Seitdem Maria in der Klinik wohnt, kam ihr Mann nicht zu Besuch. Tomás wurde es nur zwei Mal machen. Maria und Erik haben sich gut verstanden. Sie mochte seine Blumenkränze. Er war in sie verliebt. Sie erzählten sich gegenseitig Geschichten, Erinnerungen und Geheimnisse. Und eines Tages ist es passiert: sie saßen hinter dem nackten Apfelbaum und flüsterten zu einander. Erik nahm ihre Beine auseinander und Maria erzählte weiter. Seine Hände wandert über ihre Brüste, ihr Bauch und Maria dachte an die Blumenkränze. Es ist schwierig die eigene leibliche Einsamkeit zu behalten, während sich die Nahten des Körpers lustvoll ausdehnen. Tomás kam vier Wochen nach dem Ereignis. Er saß lang bei Dr. Silva im Büro und als er bei Maria, die im Wartezimmer gewartet hat, vorbei ging, warf er ihr nur ein kurzen Blick zu und ging. Maria wurde in einem anderen Zimmer versetzt. Es war alles klein in dem neuen Zimmer. Nur Maria wurde größer. Weder Tomás noch Erik kamen wieder. Bis zum nächsten Besuch von Tomás hat sie nur ihre Krankenschwester und Dr. Silva gesehen, der ein Mal im Monat kam, um nach dem Baby in ihrem Bauch zu gucken. Ihren Erik würde sie nur noch ein Mal sehen: in der kurzen Zeit ihres Lebens, in der sie nicht in der Klinik war, an dem Tag seines Todes.
Nach knapp neun Monate kam Tomás wieder. Sie sah ihn durch das Fenster ihres Zimmers, wie er entmutigt das frischgeborene Bündel festhielt und verschwand durch das Kliniktor. Auch dieses Fleischbündel würde sie Jahre später erst sehen. Viel zu spät. Selbst wenn Maria wieder nur für sich lebte und ihr Körper die bekannte Form langsam einnahm, dürfte sie nicht ihr Zimmer im hinteren Flügel des letzten Stockes verlassen. Als Erik einige Jahre später die Klinik verließ, lag Maria eine Woche im Bett mit dem vertrockneten Blumenkranz und niemand kam zu Besuch.
Erik verließ die Klinik mit einem Lederkoffer an einem Frühlingstag. Er nahm eine willkürliche Richtung und lief die Mauer der Klinik entlang. Nach dem Ereignis hat er Maria nie wieder gesehen aber seine Liebe wuchs proportional zu dem kleinen unbekannten Wesen in ihrem Leib. Als die Mauer zu Ende kam, war er allein. Erik lernte Pedro einige Wochen später kennen. Seine Tagen verbrachte er mit seinem mageren und zitternden Körper auf der Bank im Garten vor der Schule. Es war ein fast sommerlicher Nachmittag als Pedro sich neben ihm auf die Bank hingesetzt hat. Er seufzte leise. Seine Schultasche war kaputt und die Hose waren an den Knien offen. Erik sah, dass er blutet. Blut war ihm immer ein bißchen unheimlich. Er kannte nur sein eigenes Blut und selbst sein eigenes hatte ein bitteren Geschmack. Erik bastelte ein Blumenkranz und legte ihn auf Pedros Schoss. Pedro bildete aus seinen dünnen und blassen Lippen ein schüchternes Lächeln. „Wollen wir dieses Blut mal wegwischen?“ fragte Erik mit einem selbstbewussten Ton, den er von sich nicht kannte. Pedro antwortete mit einem ja. Er lief wie Erik: mit diesem leichten aber schmerzhaften Knicken des rechten Beines, das Erik schon seit seiner Kindheit kannte. Nach der Apotheke, wo sich Pedro blaue Pflaster gewünscht hat, gingen sie durch den Park spazieren. Pedro redete gerne auch wenn seine Stimme leise war, so eine Stimme die sich hinter den Worten verstecken mag. Erik dachte dabei an Maria. Pedro erzählt ihm von seinem Vater, ein introvertierter Arzt und von seiner Mutter, die er nicht kannte aber wusste, dass sie in einer Klinik lebte. Pedro und Erik haben sich gut verstanden. Pedro mochte seine Blumenkränze. Erik war in ihn verliebt.
Maria verliess die Klinik einige Tage vor der Begegnung zwischen Erik und Pedro. Tomás hat sie nie wieder besucht und Dr. Silva wurde schon seit einigen Jahren von Dr. Praça vertreten. Auch Maria war alleine. Sie wanderte durch die Strassen in Lissabon umher, an den Menschen vorbei. Keiner war Tomás. Keiner war Erik. An einem fast sommerlichen Abend schlug die Müdigkeit Maria nieder. Ihre Beine waren zu schwach, ihre Einsamkeit zu laut. Die Dämmerung lud sie in einer Kirche neben dem Fluss ein. Gott hatte sie schon längst vergessen: sie suchte ihn in ihrer Klausur aber selbst er, der allmächtigte alte Mann, hatte sie alleine gelassen. Maria dachte kaum an das Baby, das ihr Körper eines Tages verlassen hatte. In ihrem Bauch war er genauso wie sie: allein und eingesperrt. Die Mauer der Klinik waren jetzt weit entfrent und unter ihren Füssen war die richtige Welt, ja die reale und freie Welt der Menschen. Aber Maria vergass schon vor vielen Jahren in welcher Richtung sich die Kugel dreht. Mit dieser Frage deponierte sie ihr leeren Körper an die steinkalte Treppe der zugeschlossenen Kirche und schlief ein.
Es war schon dunkel als Erik und Pedro den Hof der Kirche betraten. Die finstere Silhuoette der Kirche drang durch den sternklaren Himmel durch. Pedro erzählte weiter. Er erzählte gerne über die Schule und über die Bücher, die er las. Pedro hatte sein Vater vergessen. Erik legte sein linken Arm um Pedro und er erzählte weiter. Sein rechten Hand setzte er auf dem kleinen Oberschenkel. Er dachte an Maria, an ihrer blonde mit seinen Blumen dekorierten Haaren als er die Hose des kleinen Jungens aufknöpfte, auch Pedro trug ein Blumenkranz auf seinen kurzen blonden Haaren. Erik hörte wie Pedro immer leiser und leiser seufzte. Pedro starb an dem einzigen Liebesbeweis, den sein Vater jemals kannte. Seine Mutter war bei ihm als er die Augen zum letzten Mal schloss.

Samstag, Dezember 17

So war's bei der Erfurter Spätlese 2011 in der Mehlhose




Bilder vom Verein Junge Medien Thüringen


Am 16. Dezember meldete die Stadt eine Sturmwarnung und die Franz Mehlhose kündigte die Erfurter Spätlese an. Diese Veranstaltung, die Junge Autoren aus Erfurt und Thüringen unterstützt, würde vom Verein Junge Medien Thüringen organisiert und bat neue Literaten der Stadt eine Bühne für ihre Texte. Für mich war dieses Jahr noch ein Stück besonderen als letztes Jahr, weil auch ich lesen dürfte. Zusammen mit Norman Sinn, Anne Büttner, Julia Kulewatz, Khesrau Behroz, Jan Lindner, Maxim Levinstein dürfte ich meine Text präsentieren. Die Veranstaltung wurde von Ryo moderiert, der nicht nur für die literarische Spannung der Texte und Autoren sorgte, sondern auch mit einem Applausautomat für eventuelle Ablenkungen.

Die nüchterne Stimmung lud zu einer gemütlichen Nacht ein, in der Buchstaben und literarisch-kreative Kombinationen von Bedeutung, Symbolik und Töne auf die Bühne das Publikum verzaubern könnte. Von Gedichten, die sich ganz tief in die Truhe der Erinnerungen versteckt haben, und Kurzgeschichten, die Teil eines neugeborenen kleinen Buches, bis zu einem Sonettkranz, der 14 Sonette in einer symbiotischen Beziehungen verbindet.

Leider dürfte ich nicht bis zum Ende der Veranstaltung bleiben.... aber ich habe gehört, dass es eine wundervolle Nacht war!



Montag, Dezember 12

Weihnachtslesung mit Ryo... im Café Hilgenfeld

Und auf einmal war es Weihnachten im Café Hilgenfeld gestern Abend in Erfurt. Selbst wenn der Schnee dieses Weihnachten geschwänzt hat und die mild-herbstliche Temperaturen Bäumen und Menschen verwirren. Es riecht nach Glühwein und Süssigkeiten auf dem Domplatz und das weihnachtliche Gefühl versucht sich irgendwie doch durchzudrängeln. Das Endjahres Kaffeesatz Lesen vom Café Hilgenfeld hat Ryo zum dritten Advent eingeladen.Und diejenigen, die sich ermuntert haben eine Karte zu kaufen, nehmen sogar in einem wundervollen solidärischen Tat teil. Ja, es werden Weihnachtsgeschichten gelesen.
Ryo dürfte ich schon mehrmals hören und geniessen: im Freien oder in einer innovativen elektronischen Tanz-Lesung, die grosse Aufregung laut Neugier in mir damals erweckt. Also, Weihnachten. Die Stimmung war bereit im gemütlichen Hilgenfeld: teelichter waren an, ein kostbares Kaffeegeruch füllt den Raum aus, eine Leselampe und klar, die Bücher.




Von Martin Suters Auseinandersetzung bezüglich ein Weihnachtsbaum mitten im kapitalistischen Konzern rüber zu Bölls skubis zu den Leiden eines träumerischen Tannenbaums von Hans Christian Andersen, wurden es Geschichten für jeden Geschmack erzählt: der schon erwähnte unangekündigte Weihnachtsbaum im kapitalistischen Raum; jede Menge Spekulatius und Marzipan und dazu noch sauer Gurken; Krimis im weihnachtlichen Haushalt; und Tannenbäume und der Weihnachtsmann wie in jedem klassischen Weihnachtsmärchen.

Es war auf keinen Zweifel eine sehr schöne Nacht.... Frieden!