“Este mundo dá muitas voltas e as pessoas parece que ficam tontas com as voltas que o mundo dá.” (S. 7)
Das stimmt. Die Welt dreht sich kontinuierlich und, obwohl wir es nicht spüren, scheinen wir jedoch davon beeinflusst zu sein. Dieses Buch von Cláudia Galhós ist ein Versuch ein ästhetisches und erotisches Gespür in Worten umzusetzen. Es ist ein Diskurs von niemand oder vielleicht doch von jedermann. “Sensualistas” ist ein Teil meiner Jugend und aus diesem Grund auch immer eine neue Erfahrung. Im Bezug auf Yates ging es darum, ob wir, Leser, die Bücher aussuchen oder im Gegenteil ob die Bücher uns in dieser in sich gedrehten Welt suchen. Und finden. “Sensualistas” hat mich im Sommer 2001 gefunden und hat mich in seiner Rhythmik, in seiner sprachlichen Form und freche Ästhetik gefangen. Die kurze aber prägnante Kapitel und die teilweise filmische Beschreibungen einer modernen Gesellschaft des neuen Jahrhunderts sorgten damals für meine unerwiderliche Aufmerksamkeit.
Die Geschichte – eigentlich sollte sie eher im Plural beschrieben werden - also, die Geschichten kreuzen sich wie Menschen am Bahnsteig. Und Filipe, Sara und Marisa bewegen sich, jederzeit alleine, im menschlichen Durcheinander. Sie könnten wir sein: wir und die unendliche Suche nach Liebe, nach Freiheit, nach Leben. Die Figuren von Cláudia Galhós befinden sich in einem Grenzraum der Emotionen, welchem das Blut in ihren Adern pumpt. Wir lernen sie langsam kennen: Sara, Marisa und Filipe. Sie haben Geschichten, Erinnerungen, Träume und Ängste, die vielleicht nur wir kennen. Aber die anderen nicht. Die Erzählerin (aus irgendeinem Grund bin ich schon immer davon ausgegangen, dass die Erzählerin eine Frau ist) verwickelt ihren Leser in einem erzählerischen und ästhetischen Labyrinth, dessen Ende nicht zu finden. Das Ende von “Sensualistas” ist keine Auflösung, keine Antwort auf irgendwelche Fragen, die an einer bestimmten Stelle aufgemacht wurden. Das Ende dieses Romans kommt ihren Leser überraschend entgegen. Die Form des Romans von Cláudia Galhós schliesst den Kreis nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch. Es endet wo es angefangen... wie die näturliche Drehung der Welt.
Die Nostalgie des Wiederlesens ist was besonderes. Ich habe immer dieses Buch von Cláudia Galhós in Erinnerung gehalten. Es war ein Symbol meiner Jugend und vielmehr eine Tür für meine ästhetische und intelektuelle Entwicklung. Damals kannte ich schon die sarkastisch depressive Musik von PJ Harvey und Nick Cave, die dunklere Seiten der Poesie von Al Berto und die wunderschöne und einfache Geschichten von Mia Couto aber ihre Präsenz in Cláudia Galhós Roman bestätigt meine Interessen. Dieser Roman schenkte meine Gedanken eine Stimme, die sie bisher nicht kannten. Heute: sind mehr als zehn Jahre vergangen und ich fliege von Zuhause nach Hause in einer Routine, die mir damals noch nicht bewusst war. Filipe, Sara, Marisa und ich sind anders geworden und ich finde die romantische Züge nicht mehr, die mir damals an ihnen so fasziniert haben. Der Stil von Galhós klingt plötzlich nicht viel kreativer als die neue und erfolgreiche light Literatur, die in Portugal so berühmt geworden ist, und die Handlung verliert in einer zwanghaften alternativen Bewegung im Sinn. Nichtsdestotrotz, finde ich bei "Sensualistas" andere Ecken, die mir vor zehn Jahre verborgen geblieben sind: ein altes Liebespaar, das vom Tod im Schlaf überrascht wurde; eine für das Leben verletzte Schwester, die in einem Zimmer vom Leben versteckt wird; ein Vater, dessen jahrelanges Schweigen durch einen nomadischen Lebenslust beendet wurde. Die Nostalgie des Wiederlesens ist immer eine neue Erfahrung... ich weiß, es klingt gerade wie ein eigenartiges Paradox, aber ist es nicht so, dass wir uns immer ein Stück weiter besser kennen, wenn wir (fast!) vergessene Räume unserer Vergangenheit wiederfinden?