Wo bleibt das Organische der Worten?
A book a Week does not make you a Freak
Mittwoch, September 19
Samstag, Mai 5
Genauso.
Man denkt: es sollten BÜCHER geschrieben werden. BÜCHER, die mehr als Wortkompilationen sind. BÜCHER, die gelb werden. BÜCHER, die Fettflecken sammeln. BÜCHER, die bleiben. Ich träumte von einem Buch mit Flecken, von einem Buch so alt, dass seine Blätter nicht mehr ordentlich kleben und man beim Lesen aufpassen müsste, damit die Geschichte sich nicht in der materiellen Unordnung verliert. Unordnung. Man denkt: Geschichten haben die Form von Worten. Kurze Worten. Lange Worten. Metaphern und Analogien. Sätze. Einfache Sätze. Erhobene Sätze. Monologe. Dialoge. Alles aufgeschrieben. Alles aufbewahrt. Man sagt: Bücher sind Geschichten. Und Geschichten sind Bücher. Genauso.
Dienstag, Dezember 20
Sündenbock
Um hiermit die Abwesenheit in meinem Blog zu rechtfertigen...
Meine gnädige
Frau
Maria
lernte Erik an einem herbstlichen Tag kennen. Ihr Mann Tomás hat sie
bei Dr. Silva gelassen. Sie sollte dort eine Kur machen, hat er
gesagt. Seitdem Maria in der Klinik wohnt, kam ihr
Mann nicht zu Besuch. Tomás wurde es nur zwei Mal machen. Maria und
Erik haben sich gut verstanden. Sie mochte seine Blumenkränze. Er
war in sie verliebt. Sie erzählten sich gegenseitig Geschichten,
Erinnerungen und Geheimnisse. Und eines Tages ist es passiert: sie
saßen
hinter dem nackten Apfelbaum und flüsterten zu einander. Erik nahm
ihre Beine auseinander und Maria erzählte weiter. Seine Hände
wandert über ihre Brüste, ihr Bauch und Maria dachte an die
Blumenkränze. Es ist schwierig die eigene leibliche Einsamkeit zu
behalten, während sich die Nahten des Körpers lustvoll ausdehnen.
Tomás kam vier Wochen nach dem Ereignis. Er saß
lang bei Dr. Silva im Büro und als er bei Maria, die im Wartezimmer
gewartet hat, vorbei ging, warf er ihr nur ein kurzen Blick zu und
ging. Maria wurde in einem anderen Zimmer versetzt. Es war alles
klein in dem neuen Zimmer. Nur Maria wurde größer.
Weder Tomás noch Erik kamen wieder. Bis zum nächsten Besuch von
Tomás hat sie nur ihre Krankenschwester und Dr. Silva gesehen, der
ein Mal im Monat kam, um nach dem Baby in ihrem Bauch zu gucken.
Ihren Erik würde sie nur noch ein Mal sehen: in der kurzen Zeit
ihres Lebens, in der sie nicht in der Klinik war, an dem Tag seines
Todes.
Nach
knapp neun Monate kam Tomás wieder. Sie sah ihn durch das Fenster
ihres Zimmers, wie er entmutigt das frischgeborene Bündel festhielt
und verschwand durch das Kliniktor. Auch dieses Fleischbündel würde
sie Jahre später erst sehen. Viel zu spät. Selbst wenn Maria wieder
nur für sich lebte und ihr Körper die bekannte Form langsam
einnahm, dürfte sie nicht ihr Zimmer im hinteren Flügel des letzten
Stockes verlassen. Als Erik einige Jahre später die Klinik verließ,
lag Maria eine Woche im Bett mit dem vertrockneten Blumenkranz und
niemand kam zu Besuch.
Erik
verließ
die Klinik mit einem Lederkoffer an einem Frühlingstag. Er nahm eine
willkürliche Richtung und lief die Mauer der Klinik entlang. Nach
dem Ereignis hat er Maria nie wieder gesehen aber seine Liebe wuchs
proportional zu dem kleinen unbekannten Wesen in ihrem Leib. Als die
Mauer zu Ende kam, war er allein. Erik lernte Pedro einige Wochen
später kennen. Seine Tagen verbrachte er mit seinem mageren und
zitternden Körper auf der Bank im Garten vor der Schule. Es war ein
fast sommerlicher Nachmittag als Pedro sich neben ihm auf die Bank
hingesetzt hat. Er seufzte leise. Seine Schultasche war kaputt und
die Hose waren an den Knien offen. Erik sah, dass er blutet. Blut war
ihm immer ein bißchen
unheimlich. Er kannte nur sein eigenes Blut und selbst sein eigenes
hatte ein bitteren Geschmack. Erik bastelte ein Blumenkranz und legte
ihn auf Pedros Schoss. Pedro bildete aus seinen dünnen und blassen
Lippen ein schüchternes Lächeln. „Wollen wir dieses Blut mal
wegwischen?“ fragte Erik mit einem selbstbewussten Ton, den er von
sich nicht kannte. Pedro antwortete mit einem ja. Er lief wie Erik:
mit diesem leichten aber schmerzhaften Knicken des rechten Beines,
das Erik schon seit seiner Kindheit kannte. Nach der Apotheke, wo
sich Pedro blaue Pflaster gewünscht hat, gingen sie durch den Park
spazieren. Pedro redete gerne auch wenn seine
Stimme leise war, so eine Stimme die sich hinter den Worten
verstecken mag. Erik dachte dabei an Maria. Pedro
erzählt ihm von seinem Vater, ein introvertierter Arzt und von
seiner Mutter, die er nicht kannte aber wusste, dass sie in einer
Klinik lebte. Pedro und Erik haben sich gut verstanden. Pedro mochte
seine Blumenkränze. Erik war in ihn verliebt.
Maria verliess die Klinik einige Tage vor der Begegnung zwischen Erik
und Pedro. Tomás hat sie nie wieder besucht und Dr. Silva wurde
schon seit einigen Jahren von Dr. Praça vertreten. Auch Maria war
alleine. Sie wanderte durch die Strassen in Lissabon umher, an den
Menschen vorbei. Keiner war Tomás. Keiner war Erik. An einem fast
sommerlichen Abend schlug die Müdigkeit Maria nieder. Ihre Beine
waren zu schwach, ihre Einsamkeit zu laut. Die Dämmerung lud sie in
einer Kirche neben dem Fluss ein. Gott hatte sie schon längst
vergessen: sie suchte ihn in ihrer Klausur aber selbst er, der
allmächtigte alte Mann, hatte sie alleine gelassen. Maria dachte
kaum an das Baby, das ihr Körper eines Tages verlassen hatte. In
ihrem Bauch war er genauso wie sie: allein und eingesperrt. Die Mauer
der Klinik waren jetzt weit entfrent und unter ihren Füssen war die
richtige Welt, ja die reale und freie Welt der Menschen. Aber Maria
vergass schon vor vielen Jahren in welcher Richtung sich die Kugel
dreht. Mit dieser Frage deponierte sie ihr leeren Körper an die
steinkalte Treppe der zugeschlossenen Kirche und schlief ein.
Es war schon dunkel als Erik und Pedro den Hof der Kirche betraten.
Die finstere Silhuoette der Kirche drang durch den sternklaren Himmel
durch. Pedro erzählte weiter. Er erzählte gerne über die Schule
und über die Bücher, die er las. Pedro hatte sein Vater vergessen.
Erik legte sein linken Arm um Pedro und er erzählte weiter. Sein
rechten Hand setzte er auf dem kleinen Oberschenkel. Er dachte an
Maria, an ihrer blonde mit seinen Blumen dekorierten Haaren als er
die Hose des kleinen Jungens aufknöpfte, auch Pedro trug ein
Blumenkranz auf seinen kurzen blonden Haaren. Erik hörte wie Pedro
immer leiser und leiser seufzte. Pedro starb an dem einzigen
Liebesbeweis, den sein Vater jemals kannte. Seine Mutter war bei ihm
als er die Augen zum letzten Mal schloss.
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